GutsMuths-Rennsteiglauf Schmiedefeld 8. Mai 2021 ➜ kommt noch was … der Schneewal- zer. Nicht dass ihr jetzt aber meint, das Lied wird gespielt und alles hört gespannt zu. Nee, Schneewalzer auf Thüringisch geht so: Kaum erklingen die ersten Takte, bekomme ich von rechts und links einen Stoß in die Rippen. „Einhaken“ wird mir signalisiert, und „Schunkeln“. Das machen jetzt 3.000 Läuferinnen und Läufer und die Zuschauer – und singen und grölen dazu. Als alter Rock’n’Roller schunkele ich mit Gänsehaut den Schneewalzer. Nächs- ter Schritt. Arme nach oben und von rechts nach links wiegen. Passivität wird nicht toleriert. Warum wollen denn alle gleich in den Wald rennen? Es ist doch so schön hier. Leute, ehrlich, gönnt euch das wenigstens einmal. Euphorisiert und beklatscht von vielen Zuschauern rennen die Marathonis los. Merkt denn keiner, dass es nur bergauf geht? Beim Rennsteig-Marathon rennt man von der anscheinend tiefsten Stelle des Ortes los. Außer Atem läuft man schließlich sechs Kilometer auf der B 281 in Richtung Eisfeld. Das ist gut so, denn das große Läuferfeld muss sich verteilen, ehe es auf den Rennsteig geht. Rechts ist die Getränkestelle bei der Steinheider Hütte, dann ist der Renn- steigläufer in seinem Element. Der Weg ist zwar noch breit, aber steinig. Und dass es dauernd mal rauf, mal runter geht, sage ich nur einmal, denn es bleibt so. Legendäre Verpflegung und Stim- mung Jeder Läufer hat einen Verpflegungs- plan und weiß, wo er was bekommt. Auf den legendären Schleim muss er nur selten verzichten. Die Bezeichnung „Schleim“ ist das Schlimmste an der (für Wessis) ungewohnten Kraftnahrung. Mir schmeckt er heute sogar ausgesprochen gut. Liegt es am Geschmacks-Tuning mit Heidelbeeren oder habe ich einfach keine Vorbehalte? Gleich zwei Schmalzbrote greift sich ein Läufer und ich frage ihn, wann er das zum letzten Mal gegessen hat. „Letztes Jahr, hier beim Rennsteig“. Genau das meine ich. Überall macht der Läufer ei- nen Bogen um Fett und überflüssige Ka- lorienbomben – beim Rennsteig ist alles erlaubt. Hey, macht euch doch mal einen Spaß und fragt beim Berlin-Marathon, wo es die Salamibrötchen gibt. 1616 MARATHON JAHRBUCH 2021 Die Geschichte der Grenzsteine Dorffest in Neustadt am Rennsteig Der Dreistromstein ist nicht zu Hinter Kahlert erreicht man eine übersehen. Seit über 100 Jahren mar- kiert er die Wasserscheide von Weser, Elbe und Rhein. Der Sockel ist aus den Steinen gemauert, die für den jeweiligen Fluss typisch sind: Quarz für den Rhein, Grauwacken für die Weser und Granit für die Elbe. Weiter geht’s. Wir kommen zur Friedrichshöhe. Über die kleine Wohn- siedlung hinweg hat man einen sehr schönen Blick auf den Thüringer Wald. Eine Musikkapelle spielt auf – auch so ein Rennsteig-Phänomen. Während sonst die Landschaftsläufe ja fast ganz unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, stehen hier bei jedem Haus oder jeder Kreuzung Leute an der Straße und feuern die Läufer an. Einer von ihnen hat immer ein Musikinstrument dabei. Wir sind bereits voll im Anstieg auf den Eselsberg, mit 841 m der höchste Punkt der Strecke. Keine Angst, die Höhenmeter verteilen sich sehr moderat und die meisten kommen im Laufschritt hoch. Zuvor gibt es bei der Hohen Heide noch den Dreiherrenstein zu bestaunen. Es gibt auf dem Rennsteig über 1.000 solcher Grenzsteine, teilweise gehen sie bis ins 15. Jahrhundert zurück. Viele sind wie dieser als Denk- mal gekennzeichnet und geschützt. Dreiherrenstein heißt er, weil hier, wie auch an anderen Orten, die Grenzen dreier Herzog- oder Fürstentümer zusammenstoßen. Ganz in der Nähe ist auch die Werraquelle. unbewaldete Hochfläche, von der aus man schon gut Neustadt sehen kann. Eine Glashütte war im 17. Jahrhundert Ursprung der Ansiedlung, die sich ein Fürst und ein Herzog teilten. Aus diesem Grund gibt es noch heute zwei Kirchen. Früher gab es auch zwei Schulen, zwei Feuerwehren usw. Die Verpflegungsstelle gleicht einem Dorffest, selbstverständlich mit zünftiger Blasmusik. Dann wird es noch einmal recht ungemütlich, denn zum Burgberg ist es ein kurzes Stück ziemlich steil. Laufen ist da nicht mehr. Bevor es hinunter nach Frauenwald geht, gibt es noch einmal einen giftigen Anstieg. Per Lautsprecher wird die Musik von der Verpflegungsstelle hierher über- tragen. Danke Leute, ihr wisst halt, wie der Läufer fühlt. Der Sprecher begrüßt schließlich die Ankömmlinge und mun- tert sie auf. Was der nicht schafft, erledigt das Köstritzer, das hier kistenweise aus- geschenkt wird. Alkoholfrei? Nö, wir sind doch auf dem Rennsteig. Das Finale Jetzt geht es fast nur noch abwärts. Gut, wer noch was draufhat. Blöd, wer hier marschieren muss. Bald ist schon die Musik vom Ziel in Schmiedefeld zu hören. Das beflügelt. Der Ort ist ein einziger Parkplatz, überall stehen Autos und Busse. Jetzt kommt der letzte Anstieg, hinauf zum Sportplatz. Die Zuschauer treiben uns nach oben. Die Reihen werden immer dichter, oben ist nur noch eine schmale Gasse nach Ziel frei. Dann kommt das Meinung vieler „schönste der Welt“. Der Sportplatz gleicht einem Rummel- platz mit Bier- und Imbiss- buden. Auf einem holprigen Wiesenweg umrundet man fast das ganze Gelände, immer wieder angefeuert von den vielen Zuschau- ern. Dazu Musik. Kein Beat, kein Rock. Stimmung ist angesagt, Rennsteig- Pop. Es ist der Hammer. Überall würdest du dich fragen: „Haben die nichts anderes?“. Hier gehört es hin, hier muss es sein. Der Holperweg ist lang und doch viel zu schnell zu Ende. ● Laufberichte mit vielen Bildern gibt es auf Marathon4you und Trailrunning.de